Stellungnahme des SLVN zu einer Exit-Strategie im Hinblick auf eine Öffnung der Schulen

Hannover, 15.04.2020

Stellungnahme des Schulleitungsverbandes Niedersachsen (SLVN) zu einer Exit-Strategie im Hinblick auf eine Öffnung der niedersächsischen Schulen

Die Rundverfügungen des Kultusministers zum schulischen Umgang mit dem Coronavirus, aber auch die Stellungnahmen der Verbände und einzelner Schulleiter*innen haben zu einer intensiven, kritischen inhaltlichen Auseinandersetzungen unserer Mitglieder geführt, bei denen es immer wieder um Fragen der Eigenverantwortlichkeit der Schulen einerseits und der Fürsorgepflicht des Dienstvorgesetzten andererseits geht. Der SLVN fasst wesentliche Aussagen und Forderungen zusammen:

Oberstes Gebot in Corona-Zeiten ist der Erhalt der Gesundheit. Dazu zählt die Gesundheit aller an Schule Beteiligten, auch die der Schulleitungen, damit sie weiterhin arbeitsfähig sein können und ihre verantwortungsvolle gesellschaftliche Aufgabe ausfüllen können.

Wir Schulleiter*innen wollen unseren Leitungsaufgaben auch weiterhin uneingeschränkt gerecht werden und stellen fest, dass individuelle Gegebenheiten der Schule bzw. Schulform sowie die Besonderheiten des schuleigenen Klientels wesentlich für eine Entscheidung auf dem Weg zur Öffnung der Schulen sind. Unabhängig von den am 15.4. 2020 getroffenen konkreten bundes- bzw. landesweiten Vorgaben wird eine Wiederaufnahme des Unterrichts nur mit der Expertise und dem extrem hohen Engagement von Schulleitungen vor Ort erfolgreich umgesetzt werden können.

Aus Sicht des Schulleitungsverbandes Niedersachsen (SLVN) müssen die Bedingungen geklärt sein, um einen stufenweisen Wiedereinstieg in das Schulleben befürworten zu können. Folgende Aspekte sind zwingend zu berücksichtigen:

  • Schulen brauchen einen verlässlichen Rahmen, an dem sie sich orientieren können und in gleichem Maße den Rückhalt aus dem Niedersächsischen Kultusministerium und der Niedersächsischen Landesschulbehörde für die vor Ort getroffenen Entscheidungen.
  • Viele Entscheidungen müssen vor Ort getroffen werden, da die Situationen in den einzelnen Schulen sehr unterschiedlich sind.
  • Schulleiter*innen und Lehrkräfte gehören zu den systemrelevanten Berufen und benötigen ebenso die gesellschaftliche und behördliche Unterstützung und Anerkennung.
  • Im besonderen Fokus steht die räumliche Situation der Einzelschule: Stehen genügend Räume für unterschiedliche Gruppen zur Verfügung? Entsprechen die Flure, Treppenhäuser, Aufenthaltsräume den Abstandsgeboten? Müssen Klassenräume aus- bzw. umgeräumt werden? Bietet das Schulgelände ausreichend Platz für adäquate Begegnungen?
  • Die Hygienemaßnahmen müssen in ausreichendem Maße vorbereitet werden: Dazu gehören u.a. die zusätzliche Bereitstellung und Versorgung mit mobilen Waschgelegenheiten, Seife, Handtuchpapier und Desinfektionsmitteln durch die Schulträger und die Bereitstellung von Mund-Nasen-Schutzmasken. Es darf in diesem Zusammenhang nicht zu Auseinandersetzungen über die Kostenübernahme kommen und gegenseitige Zuweisung von Verantwortung zwischen dem Land und den Schulträgern kommen!
  • Die Träger der Schülerbeförderung müssen vor Wiederaufnahme des Unterrichts sicherstellen, dass ausreichend Busse zum Transport unter Beachtung der Abstandsregelungen zur Verfügung stehen. Gegebenenfalls müssen zusätzliche Busse angemietet werden!
  • Hinsichtlich der Personalressourcen muss vorab schulintern geklärt werden welche Personengruppe zur Verfügung steht. Das gilt insbesondere für Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter*innen, die selbst zur Risikogruppe zählen. Hinzu kommen diejenigen, die aufgrund geschlossener Kitas und Krippen keine Betreuung für ihre eigenen Kinder haben. Lehrer*innen sind systemrelevant und müssen Notbetreuungen in Anspruch nehmen können.
  • Der Kreis der zu Unterrichtenden ist durch die Corona-Infizierten nicht klar einzugrenzen. Dürfen Schüler*innen die Schule besuchen, deren Eltern oder Geschwister zu den Risikogruppen zählen?
  • Verantwortlichkeiten bei neuem Corona-Verdachtsfall sind zu klären. Wird bei einem neu infizierten Fall die gesamte Schule geschlossen? Welche Sanktionen müssen erteilt werden und welche Haftungsansprüche kommen auf den Schulleiter*innen zu?
  • Beratungs- und Unterstützungsangebote der Schulen sind wichtig, da Lehrer*innen ihre Schüler*innen und deren Familien kennen und häusliche Situationen einschätzen können. Schulleitungen wie Lehrer*innen benötigen Schulung durch Supervision und Beratung durch Psychologen, Mediziner u.a..

Die Corona-Krise und die damit verbundene Kontaktsperre stellen gerade Familien vor große Herausforderungen. Aus Sicht der Kinder ist die Situation in besonderer Weise schwer, da die Großeltern nicht mehr besucht werden können, sie sich nicht mehr mit ihren Freunden treffen können, Hobbies und sportlichen Betätigungen ausfallen. Insbesondere Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien leiden besonders unter der Situation, da vielleicht kein Garten zum Spielen vorhanden ist, Eltern alleinerziehend und mit der Situation überfordert sind. Im Vorfeld bekannte psychische und emotionale Auffälligkeiten der Eltern und Kinder können sich in dieser Situation in den Familien massiv verstärken und weitere negative Folgen für das Familienleben bedeuten. Daraus erwächst die Gefahr eines sich verselbständigten Kreislaufes aus Konflikt und Gewalt.
Der Schulleitungsverband plädiert hier für eine diesbezügliche Erweiterung der Notbetreuungsgruppen für diese oft sozial benachteiligten Kinder.

Die Experten-Empfehlungen sind vielfältig, gegensätzlich und z.T. interessengesteuert. Diese bedürfen umso mehr einer Überprüfung durch die handelnden und entscheidenden Akteure vor Ort: durch die Schulleitungen.

Der SLVN wünscht sich eine frühzeitige Einbindung der Schulleitungen in den Prozess des Wiedereinstiegs in das Schulleben und die Berücksichtigung bzw. Klärung der oben aufgezeigten Problemfelder und Voraussetzungen. Angesichts der Komplexität im Hinblick auf eine sinnvolle Exit-Strategie für die Schulen können wir nur gemeinsam verantwortungsvolle, machbare und risikoeinschränkende Wege finden.

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | René Mounajed