Kommentar des SLVN zum Leitfaden des MK „Schule in Corona-Zeiten“ vom 16. April 2020

Hannover, 20. April 2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dieses Schulhalbjahr stellt uns alle wahrlich vor Herausforderungen. Und auch wir Schulleitungen bemühen uns um ein angemessenes und zielführendes Krisenmanagement. Dabei agieren wir stets vorläufig, von Woche zu Woche, von Phase zu Phase. Der erwünschte geregelte Normalzustand bleibt in weiter Ferne.
Der Niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne äußert sich dazu wie folgt: „In den kommenden Wochen starten wir nun in einen neuen Abschnitt. Es wird dafür nötig sein, Lernprozesse und –orte neu zu gestalten. Es wird Phasen des Lernens zu Hause und Phasen des Lernens in der Schule geben. Ein Hochfahren auf „Normalbetrieb“ mit regulärem Unterricht wird bis zu den Sommerferien jedoch realistisch betrachtet nicht möglich sein. (…) Parallel zum „Lernen zu Hause“ beginnen wir stufenweise mit der Wiederaufnahme des Unterrichts in Schulen.“

Aus dem Leitfaden des Niedersächsischen Kultusministeriums „Schule in Corona-Zeiten“ ergeben sich nun klare Vorgaben und Anregungen für die nächsten Wochen, zugleich aber auch einige Freiräume zur eigenen Interpretation und Umsetzung an den Einzelschulen im Sinne des Grundgedankens der „eigenverantwortlichen Schule“.

Die verbindliche Einführung von Homeschooling zum 22.04.20 ist ein richtiger Schritt: In angemessener Weise klärt der Leitfaden Aufgabenformate und Versandwege und nimmt hier alle Kolleg*innen, aber auch alle Fachbereichsleitungen etc. in die Pflicht. Die Lockerung der geltenden Datenschutzregeln sind im Zeitfenster der Krise sicher ebenfalls angemessen. Die Einrichtung einer Bildungscloud unter Hochdruck kann ebenfalls als ein richtiger Schritt, wenngleich überfällig, angesehen werden. Die Ausweitung der Notbetreuung auf weitere Risikogruppen dient der gesamten Bevölkerung; allerdings sollten auch Lehrkräfte als „systemrelevant“ eingestuft werden: Mehrfach sind Kolleg*innen in den Notbetreuungsstätten ihrer eigenen Kinder abgewiesen worden. Das sollte sich dringend ändern! Das Genehmigungsverfahren für Sonderurlaube in solchen Fällen ist zwar auf die Schulleitungen übertragen worden, aber mehr Klarheit wäre für uns Schulleiter*innen hilfreich gewesen, da auch wir planen und Betreuung gewährleisten sollen. Die Möglichkeit, auch Schüler*innen aus problematischen Haushalten zur schulischen Notbetreuung einzuladen, ist ein ebenfalls richtiger Schritt. Was aber, wenn Schüler*innen dieses Angebot nicht annehmen?
Insgesamt unterstreicht der Kultusminister in der derzeitigen Krisensituation mit dem Leitfaden seine deutliche Absicht, von behördlicher Seite her alles zu unternehmen, damit Bildungsprozesse unter diesen Umständen so optimal wie möglich weiterlaufen können. Dieser Leitfaden trägt zugleich dem Sachstand Rechnung, dass die Schulen und Schulformen in Niedersachsen unterschiedliche Voraussetzungen und Bedingungen besitzen – und die Schulleitungen frei und intelligent vor Ort entscheiden können und sollen: hier hat Herr Minister Tonne klar Rückendeckung signalisiert.

Die dann im Laufe des frühen Freitagabends, dem 17. April 2020, nach und nach eingetrudelten weiteren Regelungen schießen dann mitunter über das Ziel hinaus. Es wird immer deutlicher, dass die Entscheidung, mit allem Druck die Abschluss– und Abiturprüfungen 2020 stattfinden zu lassen, unter diesen Umständen eine Fehlentscheidung ist. Zunächst wird die Instanz der Fachprüfungsleitung bei schriftlichen und mündlichen Prüfungen ausgesetzt. Dies erfolgt aus Entlastungsgründen. Diese Entlastung ist sicher richtig! Diese Entlastung müsste es gleichermaßen für die Lehrkräfte an Haupt-, Real- und Oberschulen geben, die Abschlussprüfungen durchführen.
Aber das Abitur und die Abschlussprüfungen werden mit dieser Entscheidung um einen Schritt fragiler. Besonders fragwürdig erscheinen uns aber die Hygieneregelungen, wenn die Schulleiter*innen und Kolleg*innen regelrechte Gesundheitsüberprüfungen durchzuführen haben, Einzelprüfplätze und Einzelaufsichten aus dem Hut zaubern und gesonderte Wege in und aus der Schule ebnen sollen. Natürlich bedarf es dieser Checks und Ausweichmöglichkeiten, wenn man an den Prüfungen festhält.

Aber zugleich werden die Verantwortlichen, die Schulleitungen, die bereits ebenfalls seit Wochen im Krisenmodus arbeiten, erneut unter zusätzlichen Druck gesetzt. Es wird immer deutlicher: Das Durchdrücken der Prüfungen ist ein Systemfehler. Auf die Abschluss– und Abiturprüfungen 2020 sollte verzichtet werden, zumal die Durchführung beider Abschlussprüfungen, wie sie von IGS- und KGS-Systemen zu leisten ist, eine enorme Doppel-Belastung in organisatorischer und personeller Hinsicht darstellt. Sie könnten stattdessen als Angebot vorgesehen werden, für Schüler*innen, die ihren bisherigen Schnitt noch verbessern müssen oder wollen. Alle anderen Schüler*innen sollte man von den Prüfungen aus Gründen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes befreien – und die Kolleg*innen aus demselben Grunde auch. Für Abschlussprüfungen gilt ähnliches.

Es zeigt sich hier bereits ein weiterer gravierender Mangel in den vorgelegten Papieren, die davon ausgehen, dass alle Schulen über die notwendigen hygienischen Mindeststandards und Ausrüstungen verfügen. Das entspricht aber ebenfalls nicht in allen Fällen der Realität. Die Schulleiter*innen als Hauptverantwortliche vor Ort, müssen in letzter Instanz entscheiden können und zwar nach klaren Vorgaben, ob sie ihre Schulen öffnen können oder nicht. Sie einfach in die Pflicht zu nehmen und auf die Verantwortlichkeit der Schulträger zu verweisen, reicht hier nicht aus! Wir werden demnach unseren Mitgliedern – gemäß des Mottos „Melden macht frei“ – empfehlen, bei Unklarheiten in dieser Frage die zuständigen Dezernent*innen in der Niedersächsischen Landesschulbehörde und den Schulträger zu informieren. Eine besondere Herausforderung ist dies für die Schulleiter*innen der kleinen Grund-, Haupt-, Real- und Oberschulen, die schon seit Wochen alleine und ohne Schulleitungsteam entscheiden müssen. Die Bedeutung der seit Jahren immer wieder propagierten Forderung des SLVN nach einem Schulleitungsteam (mindestens SL-STV) wird in dieser besonderen Lage wieder deutlich!

Die Einrichtung einer „Sprechstunde“ von Lehrkräften für Schüler*innen und Eltern ist sinnvoll (Leitfaden). Die Verordnung einer täglichen Sprechstunde schießt aber über das Ziel hinaus: Die Lehrkräfte sollten sich auch in der Krise auf ihre Unterrichte im Homeoffice oder in der Schule konzentrieren. Wir empfehlen daher die Einrichtung einer verbindlichen wöchentlichen Sprechstunde und weitere Kontakt-Angebote bei Bedarf.

Unseren Mitgliedern bieten wir unter der Adresse corona@slvn.de die Möglichkeit, weitere Fragen rund um die Umsetzung der Erlasse und Verordnungen in der Corona-Krise zu stellen oder kritische Rückmeldungen bzw. konstruktive Anregungen zu geben. Wir leiten diese zeitnah an die Verantwortlichen sowie direkt an Herrn Tonne weiter und informieren Sie über die Ergebnisse!

Herzliche Grüße

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | René Mounajed