Abgebrannt!! – Kann der Flächenbrand an niedersächsischen Grundschulen noch unter Kontrolle gebracht werden?

20.02.2023

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schulleiterinnen und Schulleiter,

an niedersächsischen Grundschulen rumort es gewaltig. Seit Jahren wird das Systemgeschröpft, jetzt ist der langjährig schwelende Flächenbrand außer Kontrolle geraten. Die Unterrichtsversorgung ist historisch schlecht und weiterhin sind keine neuen Lehrkräfte in ausreichender Zahl in Sicht. Die Corona-Krise und der Ukrainekrieg erweisen sich als zusätzliche Brandbeschleuniger.
Gleichzeitig werden die Schulen mit steigenden Ansprüchen und veränderten gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Dies umfasst einen stark gestiegenen Betreuungsbedarf neben dem Aufholen von Entwicklungs- und Sprachdefiziten bei Schuleintritt. Zugleich müssen die Schüler:innen gut auf den Übergang an die weiterführenden Schulen vorbereitet werden.

Der Blick in den Schulalltag zeigt jedoch, dass Schulleitungen täglich vor der Situation stehen, Unterricht ausfallen lassen zu müssen, um die Kinder verlässlich, wie vom Gesetz gefordert, zu betreuen. Die unzureichende Unterrichtsversorgung in Kombination mit dem Fehlen einer Vertretungsreserve führt dazu, dass Unterricht ausfällt, sobald eine Lehrkraft erkrankt. Dieser kann nur durch Betreuung, im Idealfall durch vorhandene pädagogische Mitarbeiter:innen – wenn genügend Stunden zur Verfügung stehen – ersetzt werden. Leider müssen viel zu oft aber Lehrkräfte einspringen, die mehrere Klassen gleichzeitig betreuen müssen, wodurch zusätzlicher Unterricht ausfällt. Dies belastet die wenigen im System verbliebenen und noch gesunden Lehrkräfte, sodass der Kollaps dieses Systems in naher Zukunft unausweichlich ist. Zumal die Zahlen der Studienanfänger:innen erwarten lassen, dass sich diese Situation im Turbogang verschärft.
Durch flächendeckende Einführung der Ganztagsschule mit einem gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026, aber auch durch die zu erwartende Pensionierungswelle, wird dieses Lehrkräftedefizit dramatisch größer.
Wer mit dieser Realität vertraut ist, wundert sich nicht im Geringsten über die Ergebnisse der IQB-Studie, die das Brennglas auf die Folgen dieser unhaltbaren Zustände richtet und damit deutlich macht: Im Sinne der Schüler:innen dürfen wir uns nicht länger leisten, Lehrkräfte für Betreuungsaufgaben einzusetzen statt qualitativ hochwertige Bildungsangebote vorzuhalten.

Im Übergang von der Kita in die Grundschule muss sichergestellt werden, dass die Kinder gut vorbereitet in die Schule kommen. Eine alltagsintegrierte, vorschulische Sprachförderung reicht heute für viele Kinder nicht mehr aus. Die zunehmend eingeschränkten Sozialkompetenzen und Vorläuferfähigkeiten der Schulanfänger:innen schließen eine Erhöhung der Klassenfrequenzen aus. Flächendeckende Schulkindergärten oder Vorschulund Sprachlernklassen könnten den Schüler:innen helfen, den Schulstart und die Herausforderungen der ersten Klasse zu bewältigen.

Die Einführung der Inklusion auf dem Papier mit gleichzeitiger Verringerung aller Ressourcen zeigt die Grenzen zwischen sinnvollen Ansätzen und Umsetzungen deutlich auf. Die Wahlfreiheit der Eltern gerät zur Farce, wenn in Wirklichkeit keine Wahlmöglichkeit besteht, weil zeitgleich Förderschulplätze in nicht ausreichender Zahl oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Einführung der RZIs verlangsamt und verkompliziert die Zusammenarbeit mit allen an der Inklusion Beteiligten. Das führt zu einer weiteren Überlastung der Grundschullehrkräfte, die häufig ohne ausreichende Qualifikation und ohne zusätzliche zeitliche Ressourcen weitere zeitintensive Aufgaben bewältigen müssen. Die fehlende Anerkennung der inklusiven Arbeit der Grundschullehrkräfte zeigt sich unter anderem in der ungleichen Bezahlung im Vergleich zu ebenfalls an Grundschulen tätigen Förderschullehrkräften. Eine unverzügliche Umsetzung der Anpassung der Besoldung ist nicht aufschiebbar!

Forderungen aus dem Ministerium zur Multiprofessionellen Zusammenarbeit sind gut gemeinte Ansätze, jedoch scheitert die Umsetzung in der Realität oft an fehlenden Geldern und nicht vorhandenem Unterstützungspersonal wie bspw. Fachkräften für schulische Sozialarbeit.
Die Rahmenbedingungen für Eltern und Schüler:innen sind so schlecht wie nie! Der Fachkräftemangel lässt kaum mehr zu, den stark gestiegenen Beratungsbedarf zu erfüllen, Sprachbarrieren abzubauen und auch in Grundschulen dem gestiegenem Schulabsentismus zu begegnen.

Um trotz dieser Schieflage bestmögliche Bildungsangebote zu unterbreiten und dringend notwendige Schulentwicklungsprozesse initiieren zu können, brauchen Schulleitungen an Grundschulen unverzüglich:

  • Ein Leitungsteam aus mindestens zwei Personen mit ausreichender Leitungszeit und angemessener Besoldung, hierbei muss das Abstandsgebot endlich eingehalten werden!
  • Qualifizierte Lehrkräfte, die ausschließlich für Unterricht eingesetzt werden!
  • Ausreichend finanzielle Ressourcen zur Einstellung möglichst qualifizierter pädagogischer Mitarbeiter:innen zur Sicherstellung der Betreuung im Rahmen der Verlässlichkeit und des Ganztags sowie für unterrichtsbegleitende Angebote, um Lehrkräfte zu entlasten.
  • Zuweisung und Festanstellung pädagogischer Mitarbeiter:innen analog zu Lehrkräften – Abschaffung der Finanzierung über ein jährlich verändertes Schulbudget
  • Möglichkeiten des flexiblen Einsatzes des Betreuungspersonals, entsprechend der Erfordernisse vor Ort.
  • Eine Fachkraft für schulische Sozialarbeit an jeder Grundschule und jeder Außenstelle.
  • Festgelegte Mindeststandards für Ausstattung und Größe der Grundschulen, die eine moderne, inklusive und zukunftsorientierte Bildung unterstützen.

Grundschullehrkräfte und Grundschulleitungen sind sich der herausfordernden Situation sehr bewusst und sind weiterhin bereit zu geben- sofern das Land Niedersachsen nicht nur fordert und nimmt, sondern ebenfalls gibt. Ein „Weiter so“ wird scheitern!

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Dr. René Mounajed, Stephan Lindhorst, Carsten Melchert, Judith Brandes-Bock
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