Demokratiebildung am „Tag des Grundgesetzes“ (23.5.2024) – und danach?

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,
sehr geehrte Frau Kultusministerin Hamburg,
sehr geehrte Damen und Herren,

der 75. Geburtstag des Grundgesetzes ist ein wichtiges identitätsstiftendes Datum. Der Schulleitungsverband Niedersachsen e. V. (SLVN) begrüßt die Initiative der Landesregierung zu diesem wichtigen Ereignis.
Die Landesregierung betont, dass der Bildungsbereich einer der bedeutendsten Lern-, Austauschund Ermöglichungsorte unserer Gesellschaft ist. „Wir möchten gerade Kinder und Jugendliche dafür
begeistern, sich mit den Grundlagen unseres Zusammenlebens zu beschäftigen“, formulieren Sie in
Ihrem gemeinsamen Brief an die niedersächsischen Schulen.

Diese Einschätzung teilen wir im vollen Umfang und unterstützen das Anliegen der Landesregierung
und die geplanten Aktivitäten. Gerne möchten wir als Schulen daran mitwirken, dass ein tiefes Demokratieverständnis nachhaltig im Denken aller Bürger:innen verankert wird. Die aktuelle politische
Lage macht eine intensive Beschäftigung mit den zugrundeliegenden Intentionen unseres Grundgesetzes und den darin formulierten Grundrechten notwendig.

Es scheint, dass zurzeit eine nicht unerhebliche Anzahl von Bürger:innen zumindest verunsichert ist
oder gar Ängste hat. Unserer Einschätzung nach bildet sich damit ein ungesunder Nährboden für
Ressentiments, Stereotype und Vorurteile allerlei Art.
Nachrichten und Hinweise, besonders solche aus sozialen Medien und geschlossenen Gruppen, einzuordnen und auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen zu können, überfordert viele Menschen. Die
dazu nötige Kompetenz anzubahnen ist sowohl eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung als
auch die Aufgabe aller Schulen und Schulformen.

Bildung für eine demokratische Gesellschaft braucht ein sorgfältiges Vorgehen und damit Zeit. Dies
ist von besonders großer Bedeutung in einer zusehends heterogenen Gesellschaft, Schulen und

Schulklassen. Eine große und wesentliche Stärke unserer Gesellschaft besteht eben gerade in dieser
Heterogenität, der damit verbundenen Vielfalt und daraus entstehenden Innovationskraft. Es ist
selbstverständlich, dass wir ein lebendiges Interesse daran haben, diese vielfältige und bunte Gesellschaft auf Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung auszubilden und damit künftige
Bürger:innen auch langfristig gegen extremistische Einflüsterungen und vermeintlich einfache Lösungen zu wappnen. Streit, im Sinne kritischen Diskurses, gehört nach unserer Auffassung dazu und
muss von den nachfolgenden Generationen erlernt, geübt und schließlich verinnerlicht werden. Wir
sehen auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Ereignisse die Notwendigkeit, dies von
schulischer Seite noch stärker zu unterstützen.

Damit solche Vorhaben jenseits rein akademischer Erläuterungen möglichst praxisnah auf Grundlage der regionalen und lokalen Gegebenheiten mit der jeweilig existenten Schülerklientel gestaltet werden können, benötigen wir nicht nur eine punktuelle, zeitlich begrenzte Begeisterung sondern eine feste, regelmäßige und nachhaltige Verankerung im Schulalltag und den Schuljahren. Die
aktuellen Rahmenbedingen ermöglichen dies aber lediglich sehr eingeschränkt. Daher wünschen wir,
dass den Schulen die notwendige Freiheit auch über curriculare Vorgaben hinaus eingeräumt wird.

Es besteht deutlicher Handlungsbedarf in Bezug auf Demokratiebildung: Sie ist schulische Querschnittaufgabe und muss von allen Fächern gemeinsam getragen werden. Demokratiebildung darf
keinesfalls vom Engagement einzelner Lehrkräfte abhängen und nicht nur in ausgewählten Fächern
stattfinden. Stattdessen könnten zum Beispiel Anteile von Fächern zugunsten von Projekten oder der
Einführung von Verfügungsstunden oder dem Klassenrat nach Maßgabe der Schulen gekürzt werden.
Auch in einem Querschnitt-KC „Demokratiebildung“ könnte diese Aufgabe zusammen mit Anregungen zur Umsetzung Niederschlag finden.

Wenn Demokratiebildung in Schule nachhaltig gelingen soll, bedarf es eines klaren Rahmens und
die dazu nötigen Ressourcen. Zur Entwicklung und Umsetzung an den Schulen müssen die dort
beteiligten Akteure über entsprechende Freiräume verfügen können.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. René Mounajed | Judith Brandes-Bock| Jörg Gerling | Carsten Melchert | Stephan Lindhorst |
Sven Winkler