Inklusion beginnt im Kopf …

… Bedingungen für eine erfolgreiche gemeinsame Beschulung lautete das Thema der diesjährigen Herbsttagung des Schulleitungsverbandes Niedersachsen (SLVN) am 5. Oktober 2011 in Celle. Von Kultusminister Dr. Bernd Althusmann wurden im Rahmen der Veranstaltung Antworten zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Behinderten und damit die Realisierung des Rechts aller Kinder auf eine gemeinsame, inklusive Bildung und Erziehung erwartet. Mit Prof. Dr. Clemens Hillenbrand, Leiter des Instituts für Sonder- und Rehabilitationspädagogik an der Universität Oldenburg hatte der Schulleitungsverband einen Experten zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems eingeladen.
Rund 700 Schulleiterinnen und Schulleiter aus ganz Niedersachsen folgten der Einladung des Schulleitungsverbandes nach Celle. Die große Resonanz zeigte deutlich, wie wichtig niedersächsischen Schulleiterinnen und Schulleitern die Umsetzung der UN-Konvention von 2009 ist.
Die Umsetzung von Inklusion an niedersächsischen Schulen war beginnend mit den Grundschulen für das Schuljahr 2012 vorgesehen. Den Schulen liegt jedoch bis heute weder ein Gesetzentwurf vor noch sind die Rahmenbedingungen für eine inklusive Beschulung geklärt. Von Kultusminister Dr. Bernd Althusmann erhofften sich die Schulleiterinnen und Schulleiter am 5. Oktober Planungssicherheit bzgl. des anstehenden Reformprozesses.
Diese Erwartungen enttäuschte der Kultusminister. Ein Gesetzentwurf lag bis zum 5. Oktober der Öffentlichkeit noch immer nicht vor. Stattdessen soll nach Aussage des Kultusministers die Umsetzung von Inklusion, die für den Primarbereich für 2012 vorgesehen war, eventuell erst gemeinsam mit dem Sekundarbereich im Jahr 2013 erfolgen.
Der Vorsitzenden des Schulleitungsverbandes, Thorsten Frenzel-Früh, forderte die Vorlage eines Gesetzentwurfs noch im Herbst diesen Jahres, damit Schulleiterinnen und Schulleiter den Reformprozess an ihren Schulen rechtzeitig und mit Planungssicherheit einleiten können, um wie geplant, im Primarbereich zum 1. August 2012 mit der inklusiven Beschulung beginnen zu können: „Jetzt starten und nicht warten!“
Damit alle Schulen – auch die Sekundarschulen – 2012, spätestens 2013 mit der inklusiven Beschulung beginnen könnten, müssten die Rahmenbedingungen heute geklärt sein und ein Stufenplan für die Umsetzung im Sekundarbereich müsste noch in diesem Jahr vorgelegt werden.
Nach Aussage des Kultusministers liegt ein Gesetzentwurf vor, der im Sinne von Kindeswohl und Elternwahlrecht den Erhalt eines differenzierten Förderschulsystems neben den inklusiven Schulen vorsieht.
Die Gelingensbedingungen eines inklusiven Schulsystems stellte Professor Dr. Clemens Hillenbrand in seinem Vortrag „Inklusion beginnt im Kopf“ vor. „Inklusion ist ein Prozess“, betonte Hillenbrand und machte deutlich, wie wichtig die zeitnahe Klärung der Rahmenbedingungen für ein Gelingen dieses Reformprozesses an niedersächsischen Schulen ist.
Hillenbrand plädierte für einen „stringenten Umbau nach klaren Zielkriterien“. Inklusion könne nur gelingen, wenn den einzelnen Schulen Zeit gegeben werde, sich auf die Umsetzung von Inklusion zu konzentrieren und sie für die nächsten vier Jahre nicht zusätzlich mit weiteren neuen Schulprojekten konfrontiert würden.
Ein inklusives Bildungssystem müsse sich immer an den Bedürfnissen des einzelnen Kindes ausrichten. Ein „flexibles, gestuftes“ inklusives Bildungssystem, das für das einzelne Kind neben inklusiven Klassen „classroom“ auch „special classes“ und „special schools“ anbieten würde,  würde nach Hillenbrand sowohl dem Primat „Elternwunsch“ als auch den individuellen Bedürfnissen eines jeden Kindes gerecht.
Inklusion sei ein Thema für „Kopf und Herz“ und könne nur über Professionalisierung und Qualifizierung sowie das Erleben von Erfolg auf die Füße gebracht werden und gelingen.
Daher fordert auch der Schulleitungsverband: „Jetzt starten und nicht warten!“ Die Voraussetzungen für erfolgreiche inklusive Beschulung – u. a. kleinere Klassen, Ausstattung der Schulen mit einem gebundenen Ganztagsangebot und die Finanzierung von Sozialpädagogen an den Schulen – müssen jetzt geschaffen werden: die Landesregierung hatte seit 2009 Zeit, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu klären.
Am Nachmittag konnten sich die Kongressteilnehmer über Beispiele gelungener Inklusion an niedersächsischen Schulen in schulformbezogenen Workshops informieren.
In seiner Begrüßungsrede forderte der Vorsitzende des Schulleitungsverbandes, Thorsten Frenzel-Früh außerdem die Gleichbehandlung von Schulen in Bezug auf die Einrichtung eines teilgebundenen Ganztagsangebots und die Einrichtung von Sozialpädagogenstellen. Frenzel-Früh bedauerte die Auflösung der bisherigen Schulinspektion. Gewünscht sei eine nachhaltige zyklische Inspektion der Schulen, die nicht Defizit orientiert ist, sondern Weiterentwicklungen evaluieren und damit auch Schätze bergen könnte. Nachdem die Arbeitszeitverordnung für Schulleiterinnen und Schulleiter zum 1. August aufgrund substanzieller Mängel nicht in Kraft getreten ist, wird ein überarbeiteter Entwurf bis zum Februar erwartet.
In Bezug auf die Arbeitszeitverordnung für Schulleiterinnen und Schulleiter stellte Althusmann geplante Änderungen in drei Punkten vor. Der Umrechnungsfaktor für Grundschulen entfalle, eine Dokumentationspflicht sei nicht vorgesehen und der Grundsockel für die Berechnung der Leitungszeit würde überarbeitet. Verbändegespräche bezüglich der Überarbeitung des Entwurfs zur Arbeitszeitverordnung würden geführt.