Blitzlicht des SLVN - Synopse vom 30.06.2020

Hannover, 30.06.2020

zum „freiwilligen Bildungs- und Freizeitangebot in den Sommerferien“
– auf Verwirrung folgen Unverständnis und Empörungcorona@slvn.de

… „aktuell leite ich eine zweizügige Grundschule und bin Klassenlehrerin einer vierten Klasse. In den vergangenen Jahren habe ich meine Schule mit einem sehr aktiven Team unterrichtlich so weiterentwickelt, dass wir in allen Jahrgängen mit individualisierten Arbeitsplänen arbeiten.
Mit Beginn der Schulschließungen haben wir am 13.3.2020 alle Schüler mit Plänen und Material ausgestattet. Seit Montag, 16.3.2020 bin ich im Wechsel mit Kollegen täglichb in der Notbetreuung gewesen, habe akzeptiert, dass die Osterferien gestrichen sind, habe meine Schüler per Messenger und mit selbstgedrehten Lernvideos täglich versorgt, Videokonferenzen mit ihnen abgehalten, ihnen täglich 10 Minuten per Messenger vorgelesen, bin in den Osterferien, wie mein gesamtes Kollegium, herumgefahren, habe Material eingesammelt, neu verteilt, anschließend Einzel-Rückmeldungen geschrieben, mit den Kindern telefoniert, erklärt usw. Dann begann der Präsenzunterricht und ich habe meiner Kollegin und mir eine Plexiglaswand gebaut, die Klasse umgeräumt, die Kinder und Eltern beruhigt und bin seither täglich im Unterricht. Neben all dem, was ich noch nebenbei in der Schulleitung, ohne Vertretung und mit einer Sekretärin für 6 Std pro Woche so zu organisieren habe.
Ich weiß nicht, wie ich auch noch in den Sommerferien, von denen ich gehofft habe, wenigstens etwas Erholung zu bekommen, ein Bildungs- und Freizeitangebot gestalten und verantworten soll.“

Dies ist nur eine von vielen alarmierenden Rückmeldungen, die den SLVN derzeit gerade aus den kleineren Schulen im Land erreichen. Während die Schulleiterinnen und Schulleiter mit ihren Kolleginnen und Kollegen noch in den Zeugniskonferenzen sitzen, sich um die Entlass- und Abschlussfeiern, die dabei zu beachtenden Hygienevorschriften kümmern, wird schon darüber diskutiert in welcher Form während der Ferien „Bildungs- und Freizeitangebote“ organisiert werden können. Dabei zeichnen sich schon jetzt eine Reihe ungeklärter Fragen ab:

  • Wer trägt die Gesamtverantwortung?
  • Wer öffnet und schließt die Schulen?
  • Wer organisiert die Vertretungen?
  • Wer organisiert und ist verantwortlich für das Material der Schule, bzw. die Lehrbücher, die sonst von Eltern ausgeliehen werden?

Schulleiter*innen sind seit Beginn der Schulschließungen in besonderer Weise präsent. Das Zitat der Kollegin belegt das eindrucksvoll: „Wir waren in Krisenzeiten am Start, haben in der Notbetreuung, im Homeschooling und später im Präsenzunterricht das System ´Bildung` am Laufen gehalten“.
Der Kultusminister schreibt es in seinen Briefen immer wieder: Die in Schule Tätigen haben Großartiges geleistet. Dies müsste weitaus mehr nach außen getragen werden.
Und es müsste in der Öffentlichkeit mittlerweile auch deutlich geworden sein:
Schulleitungen und Lehrkräfte sind am Limit und brauchen dringend Erholungszeit. Sie benötigen aber ebenso unterrichtsfreie Zeit, um das neue Schuljahr 2020/21 zu planen, gerade im Hinblick auf mögliche Szenarien des Unterrichts in der Schule oder zu Hause – Corona wird auch unseren Schulalltag weiter bestimmen. Das ist doch die eigentlich entscheidende Herausforderung: Welche Hebel braucht es auf der organisatorischen und welche Themen und Methoden auf der pädagogisch-didaktischen Seite, um die durch die Einschränkungen entstandenen Defizite aufzufangen und aus den Erfahrungen des Schuljahrs 2019/20 zu lernen. Schließlich geht es auch darum: Wie sind wir gerüstet für einen erneuten Lockdown angesichts eines „normalen“ Unterrichtsalltags mit vollständigen Klassen unter strengen Hygienebedingungen?

Wir werden uns also nicht nebenbei auf die unterschiedlichen Szenarien vorbereiten können, auf einen Plan A, einen Plan B oder vielleicht auch C, auf die Fortsetzung des Homeschoolings mit individuellen Feedbacks neben dem Präsenzunterricht, der Unterrichtsvor- und Nachbereitung u.v.m.. Unterrichtsfreie Zeit war noch nie reine Erholungszeit für Kolleg*innen und Schulleitungen – ein Missverständnis, das nach wie vor in der Gesellschaft vorherrscht. Wir übernehmen uneingeschränkt und jederzeit – auch in schwierigen Corona-Zeiten – Verantwortung für die Bildung unserer Schülerinnen und Schüler. Das ist unser Beruf und unsere Berufung. Wenn aber der Raum für Erholung, freie Zeit (statt Freizeit) zum Durchatmen fehlt, kann diese Aufgabe nicht mehr ausgefüllt werden.

Vor diesem Hintergrund fordert der SLVN, dass die Verantwortung und Gestaltung eines freiwilligen Bildungs- und Freizeitangebotes in den Sommerferien weder bei den Schulleitungen noch bei den Lehrkräften liegt.
Hier an die Freiwilligkeit zu appellieren ist moralisch bedenklich, denn es wird ein Dilemma eröffnet zwischen Gesundheitsprävention und Loyalität gegenüber dem Dienstherrn. Dem Dienstherrn ist aber nicht geholfen, wenn nach den Ferien zahlreiche Lehrkräfte und Schulleitungen aufgrund von Überlastung möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen.

Als Schulleiter*innen obliegt uns die Fürsorgepflicht für die Lehrer*innen und pädagogischen Mitarbeiter*innen. Wir brauchen sie alle nach den Sommerferien erholt und gut vorbereitet an unseren Schulen.
Der Kultusminister sei daran erinnert, dass er es ist, der die Fürsorgepflicht gegenüber den Schulleitungen hat: Diese Personengruppe war seit Schulschließung eher nicht im Homeoffice. Dieses Team hat das Schulsystem hochgehalten.
Der letzte Ministerbrief hat auf corona@slvn.de einen noch nicht dagewesenen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Im Kanon mit dem missglückten Versuch der Veränderung des Klassebildungserlasses sowie der Kürzung der Poolstunden hinterlässt das MK einen wenig aufgeräumten Eindruck am Ende dieses Schuljahres.

Der SLVN fordert eine öffentliche Wertschätzung der Lehrkräfte und Schulleitungen ihrer außerordentlichen Leistungen und engagierten Einsatzes, wie es in Corona-Zeiten offensichtlich geworden ist. Wir fordern einen Verzicht auf sämtliche zusätzliche, von den Schulen zu organisierende Bildungsformate in den Sommerferien!

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | René Mounajed