SLVN zur neuen Schulstruktur in Niedersachsen

Am 26. Oktober 2010 hat Kultusminister Dr. Bernd Althusmann im Rahmen eines ersten Bildungsgesprächs Eckpunkte für die zukünftige Schulstruktur in Niedersachsen vorgestellt und sie in seiner Regierungserklärung vom 09.11.2010 noch einmal konkretisiert.
Für den Schulleitungsverband Niedersachsen (SLVN) enthält das Konzept eine Reihe von Maßnahmen, die im Kontext des demografischen Wandels geeignet sind, das Bildungsangebot in Niedersachsen zu verbessern. Hierzu zählen die mit der Neustrukturierung vorgesehene ortsnahe Beschulung mit der Möglichkeit eines gymnasialen Angebots einschließlich einer Abituroption, die Zusammenfassung von kleinen Schulstandorten zu größeren Systemen und den damit verbundenen umfassenderen pädagogischen Wirkungsmöglichkeiten, die Zusage der vermehrten Genehmigung von teilgebundenen Ganztagsschulen, die Senkung der Klassenfrequenzen, die Ausstattung der Schulen mit Sozialpädagogen sowie die Möglichkeit zu einem längeren gemeinsamen Lernen mit einem entsprechenden Offenhalten des individuellen Bildungswegs.
Der Schulleitungsverband vermisst allerdings eine Korrektur der vielerorts als zu einengend empfundenen Festlegung auf ein Abitur nach 12 Jahren, die im Rahmen einer erneuten Schulstrukturreform gut möglich wäre. Im Sinne einer vollen Ausschöpfung von Bildungsreserven kann die individuelle Lern- und Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern durch unterschiedliche Geschwindigkeiten begünstigt werden. Hier muss noch einmal nachgedacht werden.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum bei Einführung einer Gesamtschule an der 5-Zügigkeit festgehalten wird und nur in begründeten Ausnahmefällen eine geringere Zügigkeit genehmigungsfähig sein soll, wenn gleichzeitig der gymnasiale Zweig an Oberschulen auch einzügig eingerichtet werden kann.
Bezüglich der neuen Schulform Oberschule stellt sich generell die Frage, warum die mit ihr verbundenen Veränderungen nicht in das bestehende System eingearbeitet werden. Mit wenigen Federstrichen lassen sich Schulgesetz und Organisationserlasse so modifizieren, dass die mit der Einführung der Oberschule verbundenen Ziele, die der SLVN begrüßt und unterstützt, leicht im bereits vorhandenen Schulsystem wirksam werden könnten.
Die für die Neukonzeption einer neuen Schulform Oberschule aufzuwendenden Ressourcen könnten viel effizienter und wirksamer in die innere Entwicklung schon bestehender und erfolgreicher Systeme investiert werden.
Der in den Debatten der letzten Wochen von allen Seiten geäußerte Wunsch nach einem breiten Konsens bezüglich der künftigen Niedersächsischen Schulstruktur wird vom SLVN ausdrücklich geteilt.
Der SLVN unterstützt alle Bemühungen, die darauf hinzielen, eine langfristige und verlässliche Entwicklung der Schulstruktur zu ermöglichen. Der Fokus beim Einsatz aller Ressourcen muss sich dabei auf die innere Ausgestaltung von Unterricht und Schulqualität richten.
Dieser Konsens droht gegenwärtig noch an der Frage der Ungleichbehandlung der bereits vorhandenen Schulformen gegenüber der neuen Oberschule zu scheitern.
Die Einführung der Oberschule darf nicht zu Lasten der noch vorhandenen funktionsfähigen und vor Ort gewünschten Haupt- und Realschulen gehen.
Die Sorge vieler Bildungsexperten, dass zahlreiche Gesamtschulen im Kontext der vorgelegten Umstrukturierungsmaßnahmen mittelfristig aus der Bildungslandschaft Niedersachsens verschwinden, ist nicht von der Hand zu weisen.
Einer auf Konsens und Tragfähigkeit ausgerichteten Bildungspolitik muss bewusst sein, dass Niedersachsen eine starke Nachfrage nach gymnasialer Bildung aufweist und gleichermaßen eine über 30 Jahre alte Gesamtschultradition hat, deren Elterninteresse weiterhin ungebrochen ist.
Für die Bildungsanbieter des Sekundarbereichs I müssen durch gleiche Ausstattungsmerkmale (Regelschule, Zügigkeit, Klassenfrequenz, Ganztagsstatus, Sozialarbeiter, usw.) faire Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.
„In dieser Frage liegt der eigentliche Erfolgsschlüssel für eine längerfristige Akzeptanz und Stabilität der Schulstruktur in Niedersachsen. Sollten die Streitparteien es wirklich ernst meinen mit einer gemeinsam getragenen Vorstellung von guter Schule, dürften die letzten Schritte nicht unüberwindbar sein. Selten waren die Voraussetzungen hierzu günstiger als heute“, sagt SLVN-Vorsitzender Frenzel-Früh.
Die Gleichwertigkeit der Schulen müsse sich auch in der Anpassung der Leitungszeit und der Leitungsstrukturen sowie der Schaffung von Funktionsstellen und einer vergleichbaren Besoldung abbilden. Eine Schulstrukturreform dürfe nicht dazu genutzt werden, Funktionsstellen einzusparen.
Bei allen Reformüberlegungen müsse grundsätzlich sichergestellt sein, dass die demographische Rendite ohne Abstriche im Bildungssystem gehalten wird, um Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung wirksam werden zu lassen.
Zur Ausschöpfung aller Bildungsreserven müssten Möglichkeiten für das Lernen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten geschaffen werden. Dieses schließe auch ein Abitur nach 13 Jahren ein.
Es dürfe zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass Bildung von unten anfängt. Vorschläge zur Qualitätsverbesserung vorschulischer Bildung und einer besseren Verzahnung von Vorschul- und Grundschulbildung müssen daher ebenso wie Maßnahmen zur inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen zeitnah vorgelegt werden.
„Alle Bildungsträger und ihre Interessensvertretungen müssen begreifen, dass sie eine gemeinsame Verantwortung für die Schulqualität in Niedersachsen tragen. Sie sind daher aufgefordert, sich in ihren Positionen so aufeinander zuzubewegen, dass es gelingt, ein langfristig tragfähiges und verlässliches Bildungsangebot für die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen zu sichern“, sagt Frenzel-Früh.