Handlungsfähig bleiben in der Pandemie!

Hannover, 10. November 2020

Verunsicherung und Wut machen sich breit, wenn Klarheit und Orientierung fehlen! Schulleitungen fordern mehr Entscheidungsspielräume und klare Strukturen im Umgang mit Covid-19-Fällen

Die bisherigen Erfahrungen der Schulleitungen im Management der Corona-Pandemie haben deutlich gemacht, dass sich die derzeitigen Entscheidungsabläufe meist langwierig, unflexibel und unbefriedigend gestalten. Vorgaben des Kultusministeriums und Aussagen der Gesundheitsämter stimmen oft nicht überein, stehen z.T. im Widerspruch zueinander. Dies schafft Unklarheit und verunsichert die Schulleitungskolleg*innen und damit Kollegien und Mitarbeiter*innen. Die Situation hat sich in den vergangenen Tagen zugespitzt im Kontext der Über- und Auslastung der Gesundheitsämter und der Unmöglichkeit, Kontakt dorthin herzustellen, um die notwendigen Maßnahmen der Quarantäne usw. zu veranlassen. Im Sinne der Fürsorgepflicht für Schüler*innen und Kolleg*innen handeln Schulleitungen hochgradig verantwortungsvoll, wenn sie die Dinge nicht laufen lassen, sondern in der Situation Entscheidungen treffen, gerade dann wenn Gefahr in Verzug ist.

Es ist dringend erforderlich, dass einerseits die Entscheidungsbefugnisse für Schulleitungen ausgeweitet werden, andererseits Klarheit über Abläufe hergestellt wird, die Vorgehensweisen und Zuständigkeiten unter den Akteuren bzw. Institutionen (Kultusministerium, Niedersächsische Landesschulbehörde, Gesundheitsämter abgestimmt werden und damit ein einheitlicher Informationsstand auf allen Seiten erreicht wird. Dies konnte bisher nur als unzureichend festgestellt werden.

Es steht fest: Schulleitungen handeln auf der Grundlage der aktuellen ministeriellen Verordnungen. Diese bieten nicht nur den Rahmen, sondern sichern Schulleitungshandeln formalrechtlich ab.

Es zeigt sich im Alltag, dass nur Schulleitungen vor Ort Situationen im Kontext der Pandemie an ihrer Schule angemessen einschätzen können Jede Schule hat ihre eigenen Besonderheiten, räumlich, personell, die Ausstattung betreffend. Entscheidungen über Lüftung, Klassengröße, Raumbedarfe etc. können nicht von außen gesetzt und über einen Kamm geschoren werden. Ein individueller Blick auf das Geschehen an der Schule und Flexibilität bezogen auf das schnelle Handeln zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Pandemie sind unausweichlich. Dies sind eine zentrale Feststellung und eine Forderung im Hinblick auf ein Gelingen des Managements durch uns Schulleitungen während der Krise.

Um dies zu erreichen, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Schulleitung entscheidet eigenverantwortlich über einen Szenarienwechsel.
    Beratung bzw. Absprachen mit dem Gesundheitsamt sind wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig (Entlastung der Gesundheitsämter).
  • Die Schulleitung entscheidet auch über einen Szenarienwechsel für Teilbereiche der Schule, da die Bedingungen von Schule zu Schule und von Region zu Region unterschiedlich sind.
  • Nach einer vom Gesundheitsamt angeordneten zweiwöchigen Infektionsschutzmaßnahme entscheidet die Schule eigenverantwortlich im Anschluss über eine Verlängerung des Szenarios.
  • Die Schulleitung wird von der Unterrichtsverpflichtung freigestellt, wenn Schulen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen. Insbesondere, wenn Szenario B für einzelne Kohorten angeordnet wird, fehlt es an Räumen, Personal, Notbetreuung, Verlässlichkeit, Ganztag, Budget.
  • Die Schulleitung benötigt zusätzliche Ressourcen bei der Aufrechterhaltung des Schulbetriebs im Falle von fehlendem Personal. Dies betrifft insbesondere den Ausfall von vulnerablen Mitarbeiter*innen oder auch kurzfristige Krankheitsausfälle. Insbesondere an Grundschulen sind Pädagogische Mitarbeiter*innen z.B. erst am vierten Tag einsetzbar und das Aufteilen von Lerngruppen ist nicht möglich.
  • Damit die Schulleitung handlungsfähig bleibt und glaubwürdig agieren kann, bedarf es einer funktionierenden und zeitnahen Kommunikation auf Augenhöhe aller Beteiligten (Kultusministerium, Landesschulbehörde, Nds. Landesgesundheitsamt, Gesundheitsämter, Schulträger, Schulen). Diese brauchen feste Ansprechpartner insbesondere beim Gesundheitsamt und eine Erreichbarkeit auch am Wochenende.
  • Die Schulleitung braucht eine – und nicht von jeder Institution extra angefertigte – praxisnahe, strukturierte Handreichung „Coronafall an der Schule – Was muss ich als Schulleitung tun?“ (Liste mit Handlungsabläufen für Schulleitungen, aktuellen Hotlines und Telefonnummern – erarbeitet vom Kriseninterventionsteam der NLSchB, abgestimmt mit den Gesundheitsämtern). Diese muss aktuell sein und alle Schulen und Schulformen in Niedersachsen betreffen. Sie dient als Grundlage der Beratung durch schulfachliche Dezernenten, Sachbearbeiter*innen des Gesundheitsamtes oder Schulleitungen, die sich gegenseitig unterstützen. Ein einheitliches Vorgehen aller niedersächsischen Gesundheitsämter dient der Vereinheitlichung von Abläufen und Kommunikationswegen.
  • Um die Schulleitung in Krisensituationen im Zuge der Pandemie zu unterstützen und diese zu stärken, sind besondere Angebote zur individuellen und strukturellen Krisenbewältigung seitens des NLQ und der Schulpsychologie der Landesschulbehörde dringend erforderlich. Dazu gehört auch der individuelle Gesundheitsschutz der Schulleitungen und Kollegien. Wir fordern eine Schutzausrüstung, z.B. FFP2 – Masken für alle Bedienstete.

Um eine effektive Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt zu erreichen werden folgende Anforderungen von Seiten des SLVN an die Gesundheitsämter gestellt:

Kontaktaufnahme

  • Vielfältige Kommunikationswege ermöglichen: Telefon, Handy, Mail
  • Erreichbarkeit gewährleisten – auch am Wochenende
  • Feste Krisennummern einrichten mit festen Ansprechpartnern und Antwortgarantie innerhalb einer Stunde

Datenaustausch/ Datenverwaltung

  •  Schulen stellen aus dem Verwaltungsprogramm Schülerlisten mit den gewünschten Daten zur Verfügung
  • Das zeitintensive Ausfüllen der Excel-Listen ist nicht Schulleiter*innenaufgabe, sondern erfolgt durch das Gesundheitsamt. Arbeitsprozesse müssen intensiviert werden statt doppelter Aufgabenbearbeitung durch Schulleitung und Gesundheitsamt.

Quarantäneanordnungen

  • Innerhalb von 48 Stunden erfolgen klare, verbindliche Entscheidungen (Quarantäne, K0/K1/K2-Zuordnungen) durch das Gesundheitsamt, die nicht später revidiert werden. Die Schulleitung schicken zuvor die Kinder nach Hause in die zunächst noch freiwillig titulierte Quarantäne bis zur Quarantäneverfügung des Gesundheitsamtes.
  • Es erfolgt ein unverzügliches Versenden der Quarantäneverfügungen.
  • Geschieht dies nicht innerhalb von 48 Stunden seitens des Gesundheitsamtes, spricht die Schulleitung weist zeitlich befristete Absenz an.
    Der Begriff „Anordnung des Distanzlernens“ ist missverständlich, da dies eine Quarantänesituation mit strengen Verhaltensregeln nicht verdeutlicht.
  • Schulleitungen erhalten alle aktualisierten Schreiben des Gesundheitsamtes, z.B. die Elternbriefe zur Quarantäne, zum weiteren Vorgehen (Testung, Aufhebung etc.), um diese unmittelbar bei Verdachtsfall oder bestätigten Covid-19-Fall an die Eltern zu schicken.
  • Infoschreiben sollten in verschiedenen Sprachen für die Eltern, z.B. zur Quarantäne, den Schulleitungen zur Verfügung gestellt werden.

Risikogebiete

  • Verlässliche, zeitnahe und aktuelle Informationen müssen an die Schulen gehen, wie mit Schüler*innen und Lehrkräften aus Risikogebieten zu verfahren ist. Dies ist besonders wichtig in Grenzregionen. Auch hier bedarf es der aktuellen Infoschreiben der Gesundheitsämter an die Schulen.

Eine deutliche Ausweitung der Entscheidungsspielräume, eine deutlich erweiterte Eigenverantwortlichkeit und klare, verlässliche Strukturen, Schutz und Unterstützung sind unerlässlich, damit Schulleiterinnen und Schulleiter in der Coronapandemie handlungsfähig sind und gesund bleiben.

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | René Mounajed