Blitzlicht II – Synopse zum 05.05.2020 – HOW BIZARR

Hannover, 06.05.2020

Sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der SLVN unterstützt und berät seine Mitglieder in der Corona-Krise. Zugleich möchte er den politisch Verantwortlichen insofern eine Stütze sein, als dass er sowohl Schwierigkeiten als auch Gelungenes aus der Perspektive der in Schule Verantwortlichen angemessen konstruktiv-kritisch aufnimmt und widerspiegelt.
Unter der Emailadresse corona@slvn.de können sich unsere Mitglieder an uns wenden. Daraus erarbeitet der Vorstand in regelmäßigen Abständen eine Synopse.

How bizzar
In den letzten Tagen stand die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im Fokus vieler Mitglieder, man könnte es als eine bizarre Gesamtsituation bezeichnen. Am Beispiel Maskenschutz stellt sich dies folgendermaßen dar: Einerseits sind wir aufgefordert, an vielen Orten des öffentlichen Lebens verpflichtend Gesichtsmasken zu tragen und Abstand zu halten; regelmäßig überprüft die Polizei dieses Verhalten. Andererseits erfahren wir täglich von neuen möglichen Lockerungen: So sollen Restaurants und Hotels bald wieder geöffnet werden, in Sachsen-Anhalt ist die Abstandsregel bereits gelockert worden. Die Schulen als Teil des öffentlichen Lebens stehen dazwischen: Präventive Maßnahmen sollen ergriffen werden, aber eine Verpflichtung zum Maskentragen gibt es nicht. Viele Schulleiter *innen sehen in den Vorgaben des Hygienekatalogs eine Orientierungshilfe, empfinden aber die selbstverantwortliche Umsetzung der einzelnen Arbeitsschritte als anspruchsvoll, da sie aus virologischer Sicht zu kurz greift: Schützen uns die notwendigen Hygienemaßnahmen wirklich? Brauchen wir überhaupt den Schutz?

Eine Schulleiterin bringt das bizarre Zerrgebilde auf den Punkt: „Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Virus tatsächlich gefährlich, dann müssen die Schulen geschlossen bleiben. Oder das Virus ist nicht so gefährlich, wie einzelne Personen uns glauben machen wollen (möglicherweise partiell gefährlich), dann können die Schulen öffnen. Diverse Experten raten dazu.“
Was stimmt, was ist wirklich notwendig zu tun?
Der SLVN fordert die politisch Verantwortlichen auf, die wissenschaftliche Expertise zu erläutern, aus der denen Maßnahmen und Entscheidungen abgeleitet werden Viele Schulleiter*innen in Niedersachsen sind verunsichert ob der gegenwärtigen uneindeutigen Einschätzung der Lage.

Hohe Unterrichtsbelastung / Schulleiter
In einer Zeit, in der seitens der Schulleitungen täglich Anpassungen vorgenommen werden müssen, Neues organisiert und durchdacht werden muss, stellt sich in besonderem Maße die Frage, ob es angemessen ist, dass Schulleiter derzeit auch ihrer Unterrichtsverpflichtung in vollem Umfang nachzukommen haben. Insbesondere an den Grundschulen ist die Unterrichtsverpflichtung sehr hoch bemessen – in kleinen einzügigen Schulen gibt es keine ständige Vertretung und die Schulleiter*innen erteilen meist 18 Stunden Unterricht.
Der SLVN fordert die sofortige Unterrichtsbefreiung der Schulleiter*innen, um die verantwortungsvolle Arbeit des Wiedereinstiegs in den Schulbetrieb und der Beschulung im Zuge der Corona-Krise an ihren Schulen managen zu können.

Stichprobe – Zusatzbelastung
60 niedersächsische Schulen müssen aktuell im Auftrag des MK an einer Stichprobenerhebung teilnehmen, schreibt ein SLVN-Mitglied. Ohne Frage sei das Interesse des Landes an den hier zu erhebenden Daten verständlich, aber nicht in diesen Tagen! In einem Zeitraum, in dem aufgrund der Corona-Krise mehrfach und kurzfristig neue Handlungsanweisungen in Bezug auf die Schulorganisation umgesetzt werden müssen, z.B. neue Stundenpläne erstellt, vielfältige Maßnahmen im Rahmen des Hygieneschutzes organisiert, Rückfragen aus der Schulgemeinschaft mit dringendem Klärungsbedarf bewältigt, Planungen zur Unterrichtsverteilung für das kommende Schuljahr, Einstellungsgespräche, Angaben zu evtl. anfallenden Stornokosten für Schulfahrten getätigt werden müssen, ist jede weitere zusätzliche Anforderung eine zusätzliche Belastung.

Ein stellv. Schulleiter stellt berechtigt die Frage, wann denn sein oberster Dienstherr gedenkt, ihn nicht weiter zusätzlich zu belasten, Die Frage nach einer Fürsorgepflicht und Gesundheitsprävention drängt sich auf.
Der SLVN fordert das Kultusministerium auf, auf derartige Zusatzbelastungen von Schulleitungen in der aktuellen Corona-Situation zu verzichten und Abfragen zur Evaluation sowie Dokumentationsanforderungen auf das Nötigste zu reduzieren.

Das Kollegium – ein privater Reinigungsdienst?
Man mag es kaum glauben: Ein Schulträger schreibt einer Schulleiterin: „In diesem Zusammenhang möchte ich Sie aber bereits jetzt bitten, einen Reinigungsdienst einzurichten, der zur Verfügung steht, um notwendige Reinigungsarbeiten (wie das regelmäßige Desinfizieren der Türklinken, etc.) in Eigenleistung durchzuführen, da aktuell davon auszugehen ist, dass Reinigungspersonal in erforderlicher Zahl auf dem Markt nicht verfügbar ist.“
Diese Ausführungen sind beinahe als unverschämt zu bezeichnen, hier entzieht sich ein Schulträger seiner Verantwortung und bürdet der Schulleitung alle Maßnahmen auf. Die Schulträger sind für die Bereitstellung und Durchführung aller notwendigen Hygienemaßnahmen verantwortlich. Andernfalls kann von den Schulleitungen nicht verlangt werden, dass sie ihre Schulen öffnen.
Der SLVN fordert die Schulträger erneut auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Unhaltbare Konkurrenz von Präsenzunterricht und Notbetreuung
Die zunehmende Wiederaufnahme des Präsenzunterrichtes bei gleichzeitiger Ausgestaltung der schulischen Notbetreuung sukzessive ist nicht ohne Weiteres umsetzbar. Auch hier ist kein einheitliches Gesamtbild und Vorgehen ersichtlich. Viele Schulen können beide Systeme nicht gleichzeitig stemmen: Notbetreuung und Präsenzunterricht konkurrieren miteinander um Lehrkräfte, Zeiten und Räume.
Der SLVN fordert das Kultusministerium auf, eine Entscheidung zu treffen und eine Richtung vorzugeben, welches System vorrangig umgesetzt werden soll. Das Ministerium möge sein Vertrauen in die Eigenverantwortung von Schule setzen und es den Schulleitungen vor Ort überlassen, welchem System – Notgruppe oder Präsenzunterricht – der Vorrang gegeben werden sollte angesichts der knappen personellen, räumlichen und zeitlichen Ressourcen. Schulleitungen können die Situation, die von Standort zu Standort verschieden ist, am besten einschätzen.

Maskenpflicht in der Schule?
Viele Schulleiter*innen wünschen sich dringend ein verpflichtendes Tragen von Gesichtsmasken auf dem Schulgelände (im Schulgebäude, auf dem Pausenhof, aber nicht im Unterricht). Sie sehen darin nur eine logische Konsequenz der geltenden Regularien in Supermärkten, im ÖPNV etc. Die Landesregierung, so liest man dieser Tage, erwägt Gottesdiensten unter der conditio sine qua non des Maskentragens stattfinden zu lassen.
Was für Gottesdienste gilt, sollte für Schulen ebenso gelten. Die Eigeninitiative eines SLVNMitglieds, aus dem Schulbudget Einmal-Masken anschaffen zu dürfen, wurde abgelehnt.
Der SLVN sieht in diesem Fall erneut jene bizarre Auftaktsituation bestätigt: Haben wir jetzt Corona oder nicht? Ist das Virus gefährlich oder nicht? Gilt eine Maskenpflicht, wenn in Schule Menschen eng aufeinandertreffen? Der SLVN fordert erneut, klare Richtlinien auszugeben und die Voraussetzungen für eine angemessene Umsetzung zu schaffen. Hier wird erneut jene Halblösung deutlich, die die Kollegin bei „how bizzar“ kritisiert hat.

Schulleiter kriegen kein Corona
Zuletzt sei auf das Votum einer Schulleiterin hingewiesen, die selbst zur Risikogruppe gehört und ihre Schule dem ungeachtet weiterleiten muss mit der Begründung: Es gibt sonst keinen!
Der SLVN hat immer wieder darauf hingewiesen: Keine Schulleitung ohne Stellvertretung.
Nun, in der Krise, rächt sich dieses Versäumnis offensichtlich. Dies muss so schnell wie möglich zu politischen Konsequenzen führen, sofern es die Verantwortlichen wirklich mit uns Schulleitungen ernst meinen.
Der SLVN fordert, dass Leitungen im Hinblick auf die eigene Handlungsfähigkeit und die Bewältigung der heutigen und zukünftigen Herausforderungen mindestens aus dualen Systemen bestehen. Wenn Schule, wie im obigen Fall, auf Kosten eines einzigen Schulleitungsmitglieds, der Schulleiterin, betrieben wird, sind Organisations- und Leitungsstrukturen zu anfällig und ständig äußeren Umständen unterworfen. Dies kann nicht im Interesse der Dienst vorgesetzten Behörde sein. Abgesehen davon steht das auch außerhalb jedweder Prävention.

Schulleiter*innen sind allzeit bereit
In Corona-Zeiten werden von Seiten des Kultusministeriums zahlreiche Erlasse und Verordnungen den Schulleitungen zur unmittelbaren Umsetzung im Schulalltag vorgegeben.
Diese sind notwendig und hilfreich und bieten konkrete Handlungsanweisungen, die ein einheitliches Vorgehen ermöglichen. Weniger hilfreich ist es, dass diese Erlasse oft am späten Freitagnachmittag den Schulleitungen zugestellt werden, oft verbunden mit einem Hinweis auf eine zügige Umsetzung zum Wochenbeginn. Das heißt somit, dass alle Überlegungen, z.B. das Runterbrechen der Erlasse für die Kolleg*innen auf die konkrete Handlungsebene, am Wochenende erfolgen müssen, die Arbeitszeit unvermindert fortgesetzt wird.
Der SLVN fordert: Auch Schulleiter*innen haben ein Recht auf Reproduktion am Wochenende. Was spricht dagegen, entsprechende Erlasse am Montag um 8 Uhr über den Schulverteiler an die Schulen zu versenden? Eine umgehende Bearbeitung mit sofortiger Rücksprachemöglichkeit im Schulleitungsteam oder mit dem Kollegium ist mindestens ebenso effizient wie wirksam.

Herzliche Grüße

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | René Mounajed | Stephan Lindhorst