Blitzlicht – Synopse III „Sind wir doch mal ehrlich… wir sind am Limit!“

Hannover, 13.05.2020

Dutzende Mails haben den SLVN in den vergangenen Tagen wieder über die inzwischen gut bekannte Mailadresse corona@slvn.de erreicht und viele Schulleitungskolleg*innen nutzen diese Möglichkeit, uns ihre Gedanken, Sorgen, Nöte mitzuteilen. In dieser Woche haben sich verschiedene Schwerpunkte und Fragen herauskristallisiert, die in der wöchentlichen Synopse zusammengefasst werden.

Der Vorstand des SLVN betont ausdrücklich, dass in den rund 3.000 Schulen Niedersachsens hochkompetente und zuverlässige Schulleiterinnen und Schulleiter arbeiten, die das Bildungssystem zusammen mit ihren Schulleitungsteams, sofern es dieses gibt, ihren Kollegien und den kommunalen Mitarbeiter*innen am Laufen halten.

Mit dem stufenweise, zunächst mit den Abschlussklassen begonnenen Wiedereinstieg in das Schulleben gestaltet sich der Alltag von Schulleitungen in Corona-Zeiten allerdings grundlegend anders. Der Bildungsauftrag tritt in den Hintergrund – Homeschooling ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Dafür geht es vorrangig um Unterrichtsorganisation, Logistik (Lehrereinsatz, Raumplanung, Schülerströme, versetzte Pausenzeiten usw.) und um das Überwachen von Regeln (Hygieneregel, Abstandsregel, Sprech- bzw. Stimmregel, MundNasen-Schutz-Regel usw.), deren Notwendigkeit zur Eindämmung der Corona-Pandemie hier niemand in Frage stellen möchte.

In Frage stellen die Schulleiter*innen jedoch den Umgang ihrer Dienstvorgesetzten mit ihnen, die mangelnde Ernsthaftigkeit beim Zuhören und fehlende Unterstützung bei der Lösung konkreter Probleme. Die Öffnung der BuU-Plattform auch für Lehrer*innen ist wohl eher als Zeichen der Hilflosigkeit und weniger als echte Hilfe zu betrachten.

In Frage stellen die Schulleiter*innen ebenso manche Entscheidung, wenn es um die kurzfristige Umsetzung von Verordnungen, Runderlassen geht und Schulen nicht schulformspezifisch und eigenverantwortlich entscheiden können.

„Gemäß § 1 a Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 09. Mai 2020 ist in allen Schulen der Schulbesuch im Sinne eines Präsenzunterrichts untersagt. Die Verordnung tritt am 11. Mai 2020 in Kraft. Artikel 2 der Verordnung enthält die ab dem 18. Mai 2020 geltende Fassung.“

Unterricht in alter Form, wie vor dem 13.3., ist nicht möglich, findet nur eingeschränkt statt. Der SLVN stellt fest: Schulleitungen haben die Kompetenz, vor Ort die notwendigen Entscheidungen zu treffen, z.B. wie Präsenzunterricht unter den schwierigen Bedingungen an ihrer Schule konkret umzusetzen ist. Das erfordert zugleich die uneingeschränkte Unterstützung des MK und der Landesschulbehörde und das Vertrauen in die Arbeit der Schulleitungen.

Beispiel 1: Wenn eine Schulleiterin oder ein Schulleiter entscheidet, dass z.B. jeder Jahrgang nur alle drei Tage oder nur zwei Stunden am Tag Unterricht hat, da das Personal fehlt, Lehrkräfte erkrankt sind oder zu den Risikogruppen gehören, die Räumlichkeiten der Schule eine gleichzeitige Beschulung mehrerer Jahrgangsteilgruppen nicht zulassen usw., muss die Entscheidung beim Schulleiter*in vor Ort liegen. Was bleibt Schulen sonst übrig, die mit einem „Rumpfkollegium“, die Onlinebeschulung, Notbetreuung und Unterricht gleichzeitig erfüllen müssen? Zentrale Vorgaben oder gar Weisungen der Landesschulbehörde, die bis zur Dokumentation der Tätigkeit von Lehrkräften im Homeoffice gehen, tragen in keiner Weise zu einer Lösung des Problems bei.

In Krisen-Zeiten mit außerordentlichen Belastungen reicht es nicht aus, als Landesschulbehörde die alleinige Aufgabe der Dienstaufsicht zu erfüllen. Der SLVN vermisst die Fürsorgepflicht der Landesschulbehörde gegenüber Schulleiter*innen und fordert den wertschätzenden, respektvollen Umgang – so wie es im Leitbild der Landesschulbehörde verankert ist und diese es für sich selbst beansprucht.

Der SLVN wünscht sich für die Schulleitungen in Niedersachsen endlich die Anerkennung für ihre Arbeit, die sich durch professionelle Leitungskompetenz, vielfältiges Engagement und große Verantwortungsbereitschaft auszeichnet. Dazu gehört es auch, dass in Krisenzeiten Entscheidungen mitgetragen werden, denen man kritisch gegenübersteht.

Beispiel 2: Anfragen zum Umgang mit Dienstlichen Beurteilungen in Corona-Zeiten werden von den Regionalabteilungen der Landesschulbehörde sehr unterschiedlich beantwortet, beispielsweise mit der Antwort: „So geht das nicht!“ Schulleiter*innen sind aufgrund ihrer professionellen Erfahrungen durchaus in der Lage in den drei Jahren unterrichtlicher Begleitung ihrer Kolleg*innen Beurteilungen zu verfassen – auch ohne Unterrichtsbesuch. Die Probezeit der Beamt*innen endet zu einem festgesetzten Zeitpunkt und darf nicht mit einer sog. Corona-Begründung verlängert werden.

Beispiel 3: Am vergangenen Donnerstag erging an alle Schulen des Landes eine kurzfristige Abfrage zur Statistik bzgl. der Risikogruppen an der Schule, die binnen weniger Stunden zu beantworten war. Es zeigte sich, dass die Zuständigen im MK und in der Landesschulbehörde scheinbar nichts von der Häufung der zu leistenden Aufgaben an diesem Tag wussten: Präsenzunterricht, Notbetreuung, Auswahlgespräche in umfangreichen Stellenbesetzungsverfahren, Vorbereitung der Abitur- und Abschlussprüfungsplanungen, Anmeldungen der 5. Klassen und daneben das ganz normale Alltagsgeschäft.

Der SLVN benötigt in Sachfragen, die für alle Schulen geregelt werden müssen, klare Entscheidungen seitens des MK, die einheitlich und rechtlich abgesichert sind und den Schulleitungen Handlungssicherheit geben.

Beispiel 4: Trotz erneuter Abfrage der Stornierungen von Klassenfahrten steht eine Entscheidung des MK hinsichtlich der Fahrten bis zum Ende des Kalenderjahres immer noch aus. Schulleitungen müssen einerseits Eltern beruhigen, andererseits Kollegen hinhalten, wenn es um Stornierungen von Studienfahrten im Herbst geht bei steigenden Stornierungskosten.

Die Frage der Stornierungen und Fahrten nach den Sommerferien muss dringend schon jetzt geklärt werden. Ebenso müssen die Verfahren und Vorgaben für die Rückzahlungen der stornierten Fahrten aus diesem Schuljahr zeitnah festgelegt werden.

Fazit: Hat der Wiedereinstieg in den Schulbetrieb wirklich geklappt? 

Die Presse berichtet positiv, fast überschwänglich von den ersten Schultagen an den verschiedenen Schulformen. Schulleiter*innen werden zitiert, es habe alles gut geklappt mit dem Abstandsgebot, den Hygieneregeln, dem Maskentragen. Fröhliche Gesichter überall – auch wenn man sie unter den Masken nur vermuten kann. Auch der Minister zeigt sich zufrieden mit dem geglückten Einstieg aufgrund guter Vorbereitung vor Ort.

Der SLVN gibt sich mit dieser Sichtweise nicht zufrieden. Ja, die Schüler*innen, Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen haben sich auf das Wiedersehen gefreut. Ja, die Bedeutung und Qualität von Unterricht gegenüber dem Homeschooling ist offensichtlich geworden.
Aber was ist, wenn die weiteren Jahrgänge in die Schule kommen? Sind die Schulleitungen überhaupt in der Lage, die Situation der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Jahrgänge und Gruppenkonstellationen zu beherrschen und den logistischen, personellen, materiellen und gesundheitlichen Anforderungen gerecht zu werden?

Die Antworten unserer Mitglieder geben Anlass zur Sorge. Wir zitieren hier zwei von vielen:

Beispiel 5: „Ich will eigentlich noch sieben Jahre bis zum Ende der Regelarbeitszeit arbeiten, aber ob ich das schaffe, weiß ich nicht. Gut, dass Sie (SLVN) da sind.“

Beispiel 6: „Die Alternative (Krankschreibung von meinen Ärzten empfohlen) würde für meine Schule das organisatorische Chaos bedeuten. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, es darauf ankommen zu lassen.“

Der SLVN greift erneut längst Formuliertes auf:

Wir Schulleiter*innen brauchen Zeit für Gespräche mit Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen, mit dem Schulpersonalrat, mit den Schüler*innen und Eltern, um zu informieren, aufzuklären, Menschen an schulischen Prozessen zu beteiligen.
Schulleiter*innen und Lehrkräfte brauchen Zeit sich zu erholen, abzuschalten und Kraft zu sammeln für die kommende Woche.

Eine Präsenz zur Durchführung von Notbetreuungen in den Ferien sowie eine Kürzung der Sommerferien – auch in Anbetracht des Wegfalls der Osterferien – sind in keiner Weise eine Option für den SLVN.

Im Gegenteil: Erschöpfungszustände und Gefühle der Frustration, Enttäuschung und Überforderung werden auch durch Mails am Freitagabend oder am Samstag hervorgerufen. Das hat nicht mit mangelnder Professionalität oder Schwäche von einzelnen Schulleiter*innen zu tun, sondern mit unterlassener Fürsorgepflicht des Dienstherren.

Unser Eindruck ist immer mehr, dass viele Kolleg*innen am absoluten Limit sind und „die Nase voll haben“. Es kann nicht allein in der Verantwortung des SLVN liegen, auf Missstände hinzuweisen, Ansprechpartner*innen für die Schulleitungen in Niedersachsen zu sein, um Lösungen anzubieten. Schulleitungen haben es verdient, Unterstützung und Wertschätzung zu erfahren auf der Basis der Akzeptanz ihrer Eigenverantwortlichkeit.

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | René Mounajed