Die neue gymnasiale Oberstufe in Niedersachsen: wegweisend

Öffentliche Stellungnahme des SLVN e.V.

In den letzten Monaten sind vom Kultusministerium die Eckpunktepapiere zur Erneuerung
und Anpassung der gymnasialen Oberstufe erschienen. Wie es für größere Veränderungs-
prozesse zu erwarten ist, werden diese leidenschaftlich diskutiert. Bemerkenswert ist da-
bei vor allem, auf welcher inhaltlichen Grundlage diese Diskussion passiert und welche
Reichweite sie hat. Außerhalb von Arbeitsgruppen und den vier Wänden des MKs bezie-
hen sich die Einlassungen ausnahmslos auf die zwei Eckpunktepapiere selbst. Dort wer-
den zwar die geplanten Grundlagen überblicksartig dargelegt, viele Details und Überle-
gungen im Hintergrund sind jedoch nicht allgemein bekannt. Dennoch finden die geplan-
ten Änderungen nicht nur in Niedersachsen, sondern in der Presse in ganz Deutschland
ein großes Medienecho. Dieses arbeitet leider zum Teil mit Halbwahrheiten und Ungenau-
igkeiten, um den einen oder anderen Punkt besonders eindrücklich darzustellen.

Richtig ist, dass der SLVN sowohl den Prozess selbst als auch den Inhalt als wegweisend
einordnet. Daher interpretieren wir das große öffentliche Interesse an der Oberstufenre-
form als ein Zeichen dafür, wie umfassend und Grundlagen gestaltend diese Reform ist
und damit auch ein Fingerzeig für andere Bundesländer sein kann.

Der SLVN ist nicht dafür bekannt, besonders zimperlich und zurückhaltend in seiner Kritik
zu sein. Wir benennen, ergänzen, kritisieren, karikieren, wann immer es uns notwendig
erscheint. Dennoch sind wir stets darum bemüht, den Dialog zu suchen und konstruktive
Kritik zu äußern, um unser gemeinsames Interesse an einer Verbesserung der Lern- und
Arbeitsbedingungen der gesamten Schulgemeinschaft zu fördern – bei uns mit besonde-
rem Blick auf die Schulleitungen.

Deswegen verschließen wir aber nicht die Augen davor, wenn Prozesse und Produkte ein-
mal besonders gelungen sind. Der SLVN sowie viele andere Verbände, die RLSB, der SHP,
der LER und der LSR wurden vom MK in einem von Anfang an äußerst transparenten und
konstruktiven Prozess mitgenommen, angehört, ernst genommen und einbezogen. Un-
sere Meinung und Expertise haben gezählt, wurden berücksichtigt und finden sich im Er-
gebnis wieder. Sollte diese Form der Prozesssteuerung im MK Nachahmer*innen finden,
hätten der SLVN und das MK weit weniger Arbeit. Wegweisend!

Auch die inhaltliche Ausgestaltung der Oberstufenreform lässt für uns wenig Platz für Kri-
tik. Es liegt auf der Hand, dass es immer verschiedene Sichtweisen auf komplexe Zusam-
menhänge gibt, gerade in der gymnasialen Oberstufe. Dennoch war es zunächst einmal
mutig, dass das MK den Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr
2017 und die daraus folgende Vereinbarung der KMK nicht als Anlass zur Flickschusterei
betrachtet, um lediglich Konformität herzustellen.

Stattdessen hat das Ministerium dies zum Anlass genommen, die gesamte Oberstufe auf
den Prüfstand zu stellen und zusammen mit den Praktiker*innen aller Couleur zu
schauen, wie die Vorgaben die Lernenden möglichst umfassend auf die Erfordernisse ih-
res späteren Lebens vorbereiten können. Damit dies kein Stückwerk bleibt, hat man
gleich die Einführungsphase mit in den Blick genommen, damit es keine künstlichen Brü-
che zwischen den Jahrgängen gibt, sondern diese sinnvoll ineinandergreifen.

Wahlfreiheit, eigene Schwerpunktsetzung, moderne Aufgabenformate für Schüler*innen,
auch dringend notwendige Entlastung von Lehrkräften angesichts einer überbordenden
Bürokratie, die Gleichwertigkeit der Fächer und ein Bewahren von bewährten Aspekten
kennzeichnen die Reform. Und das alles natürlich bei Beachtung der KMK-Vorgaben.
Wegweisend!

Besonders beeindruckt uns beispielsweise:
a) Die Einführung des kombinierten Leistungsnachweises als Klausurersatz, der die
Schüler*innen auf die Erschließung komplexer Sachverhalte vorbereitet, echte
Kompetenzorientierung ermöglicht und den Einsatz von KI produktiv berücksich-
tigt.

b) Die sinnvolle Abwägung zwischen Vorgaben und Wahlmöglichkeiten für die Schü-
ler*innen, u.a. indem sie weiterhin fünf Prüfungsfächer wählen müssen (vier wä-
ren auch denkbar gewesen) und gleichzeitig die Profile aufgelöst werden. Dies er-
möglicht eine individuelle Schwerpunktsetzung bei der Fächerwahl und berück-
sichtigt dennoch die Gleichwertigkeit der Fächer und die KMK-Regelungen zu den
Aufgabenfeldern und den Kernfächern.

Hierunter fallen auch die Vorgaben zur ersten, zur zweiten und zu weiteren Fremd-
sprachen. Niedersachsens Schüler*innen erlernen die zweite Fremdsprache län-
ger als nach KMK-Vorgaben notwendig; das werden sie auch nach der Reform tun.
Darüber hinaus bleibt es allen Schulen unbenommen in den Jg. 11-13 vielfältige
attraktive fremdsprachliche Angebote zu machen, die ihre Schülerschaft anneh-
men kann. Dies gilt analog für alle anderen Fächer.

c) Die Reduktion der Anzahl der Klausuren. Dies führt zum einen zu einer Entlastung
der Lehrkräfte und der Schüler*innen, da Klausuren vorbereitet, geschrieben, kor-
rigiert und wieder besprochen werden müssen. Zum anderen entfällt damit zum
Teil die oft stattfindende teaching to the test-Problematik. Wichtiger ist jedoch,
dass mehr echte Lernzeit entsteht, die die Lehrkräfte zum kompetenzorientierten
Unterrichten nutzen können. Schließlich stärkt die Ausweitung der alternativen
Lernleistungen und der mündlichen Überprüfungen die Fähigkeit der Schüler*in-
nen sich in ihrem weiteren Leben geforderten Leistungssettings zu stellen, die
nicht rein aus Klausuren bestehen.

d) Die Einführung von polyvalenten Kursen, die es innovativen niedersächsischen
Oberstufen ermöglicht, fächerübergreifende Kurse anzubieten. Diese können
schulspezifisch gewachsene Besonderheiten berücksichtigen, Synergien zwi-
schen Fächern nutzen und geben den Schüler*innen die Gelegenheit ihre Beleg-
verpflichtungen auf unterschiedliche Weisen zu erfüllen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich der SLVN ausdrücklich hinter das Ergebnis der Ober-
stufenreform, noch mehr aber hinter den Prozess, den die MK-Verantwortlichen mit viel
Expertise, Weitblick und Offenheit gestaltet haben.

Der SVLN sieht in dieser Form eine echte positive Veränderung für die Bildungslandschaft
in Niedersachsen und übernimmt damit Verantwortung für die Prozesse, die er selbst mit
begleitet hat.

Für den SLVN
Matthias Aschern
Gregor Ceylan
Jan Pössel
Katja Tank