24/7: Burnout garantiert! Was sich am Job der Schulleiter:innen dringend ändern muss

Hannover, 16. April 2021

oder „Aus dem Leben eines/einer Schulleiter:in in der Pandemie“ (fast ein Stück Realsatire)
Oft werden wir gefragt, inwiefern die Pandemie Coivd-19 unseren Alltag und unsere Arbeitsbelastung als Schulleitungen in Niedersachsen beeinflusst hat.
Ein anschauliches Beispiel gibt das vergangene Wochenende:
Es ist Samstag, 10.4.21. In Niedersachsen neigen sich die Osterferien dem Ende zu. Nachdem der Kultusminister Grant-Hendrik Tonne bereits in der ersten Woche der Ferien die Einführung einer zentralen Testpflicht nach den Osterferien veröffentlicht hat, gehen am Freitagabend, 9.4.21, gegen 20 Uhr die dazugehörigen Rundverfügungen ein. Zuvor waren die Tage von Mittwoch, 7.4.21 bis Freitag, 9.4.21 mit Schuldiensten in Präsenz gefüllt; denn: die Umsetzung dieser weitreichenden Regeln will vorbereitet sein.
Allgemeingültige Formulare: Fehlanzeige; also selber machen. Und wir Schulleitungen warten auf die angekündigte Anlieferung der Tests. Man könnte meinen, man warte auf Godot; manche erhalten Tests, aber falsche Tests: Solche, wo man die Stäbchen bis zum Gehirnscheitel bringen und dann drehen muss. Praktischerweise werden diese in großen Größen, sprich Paletten, und nicht in Einzelverpackungen geliefert. Wer soll diese Testkits einzeln verpacken? Schulleiter:innen in nächtlicher Heimarbeit? Wieder andere Sendungen enthalten viel zu wenig Tests: 1540 Schüler:innen, knapp 200 Mitarbeiter:innen, zweimal in der Woche Testungen: Geliefert werden 1000 Tests. Was tun?
Ein Schulleitungs-Kollege beschwert sich bei uns, dem Vorstand des SLVN, dass er aufgrund der Verordnung von Freitagabend mit seiner Schulleitungsrunde eine spontane Sitzung am Samstag einberufen habe, um die in dieser Verordnung neu aufgelisteten Aspekte zu prüfen und schulscharf umzusetzen. Eigentlich seien aber Ferien. Er könne langsam nicht mehr; so dürfe es nicht weitergehen.
So wird es aber weitergehen. Gnadenlos. Niemanden interessiert, dass Schulleitungen in diesen zwei Wochen der Osterferien sowieso schon wieder viel zu viel gearbeitet haben – von Erholung keine Spur. Denn eine Phase der Rekonvaleszenz hat man ihnen nicht zugestanden – mal wieder nicht.
Und wie so oft ist die Organisation im Zuge der kurzfristigen Verordnung hochgradig unprofessionell angelegt: Denn die Schulen sind dazu angehalten, eine Testpflicht für Tests zu organisieren, die sie oft gar nicht haben. Die Schulleitungen entwerfen Formulare, die eigentlich einheitlich an anderer Stelle im Kultusministerium oder im RLSB erarbeitet werden sollten. Die Schulleitungen organisieren die Umsetzung von Prozessen, obwohl sie eigentlich nach Monaten der Zusatzbelastung eine Pause verdient hätten.
Es zeigt sich also in der Pandemie eine Verschärfung der ohnehin gegebenen Situation:
Es fehlt ein klares Berufsbild der Schulleitungen, es fehlt eine Personalvertretung, die den Dienstvorgesetzten auf die Finger schaut, Konfliktlösungsprozesse begleitet und Grenzen setzt, dort, wo sie überschritten werden. Es fehlt also schlicht so etwas wie Wertschätzung und Respekt und „ein Knigge“ bzw. Verhaltenskodex: Wie gehe ich mit Schulleitungen um?
Ein weiteres Beispiel: Ein anderer Schulleiter leitet eine große weiterführende Schule in der Region und Stadt. Seit Wochen leistet er über alle Maßen und mit höchstem zeitlichen Einsatz seinen Dienst, ist per Handy stets erreichbar für Schulträger, Landesamt, Kolleg:innen, Eltern, Schüler:innen und das Gesundheitsamt. In den Osterferien will er ausnahmsweise mal kürzertreten. So reagiert er nicht umgehend auf die Anfrage des Schulträgers. Er fragt sich berechtigterweise, warum ein solcher Termin nicht vor, sondern in den Ferien gefunden werden muss und warum ein solches Treffen, ein möglicher Superspreader, in Präsenz stattfinden soll, denn z.Zt. sind weder Lehrkräfte noch Schulleitungen der weiterführenden Schulen gegen Covid-19 geimpft. Er beschließt, das Ferienende abzuwarten, um dann ein intensives Gespräch in der Angelegenheit mit dem Schulträger zu führen. Keine Chance: Der Termin wird einfach ohne ihn gemacht.
Es wird klar: Schulleitungen haben rund um die Uhr im Dienst zu sein: 24/7, d.h. 24 Stunden an 7 Tagen. Der Schulleiter interveniert heftig, die Terminfindung wird rückgängig gemacht – ein neuer Terminvorschlag wird nun nach den Ferien vorgelegt. Charming: Der zuständige Schuldezernent selbst ist bis dato in Urlaub, also nicht erreichbar. Ein Beispiel neben vielen weiteren zum Umgang mit Schulleitungen seitens des Schulträgers oder der Behörde.

Seit über einem Jahr haben wir, die Mitglieder des Vorstandes des SLVN, über unsere Email-Hotline corona@slvn.de ein offenes Ohr für die Kolleginnen und Kollegen im Land. Oft wurden wir Zeugen von wenig klugen und wenig wertschätzenden Situationen. Oft haben wir uns gefragt, warum so wenig auf die Expertise an den Schulen vor Ort zurückgegriffen bzw. gehört wird und nicht die Entscheidungen dorthin delegiert werden.

Wir wissen um die Belastung aller Akteure in diesem Prozess. Aber wir erwarten Respekt und eine angemessene Haltung gegenüber uns Schulleitungen. Dazu gehört die Akzeptanz des Erholungsanspruchs in der unterrichtsfreien Zeit. Der Umgang mit Schulleitungen im Land muss sich schnell und deutlich ändern. Warum wird einem Schuldezernenten ein Erholungsurlaub zugestanden, Schulleitungen aber nicht? Für uns ist ein Zeitfenster, in dem Ruhe vor Erlassen, Verordnungen, Anfragen etc., geradezu existentiell, um unsere Leitungsaufgaben anschließend wieder engagiert und zuverlässig wahrnehmen zu können. Es bürgert sich immer mehr ein, dass die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung inzwischen zu jeder Tages- und Nachtzeit schriftliche Aufforderungen und Verfügungen verschicken nach dem Motto: „Dann hab` ich es weg“, so die Antwort auf unsere Nachfrage zu diesem unangemessenen Zeitpunkt und Vorgehen fern von jeder Fürsorgepflicht. Viele arbeiteten im Homeoffice. Aber wir Schulleitungen nicht! Wir arbeiten in Präsenz und setzen uns täglich besonderen Gesundheitsrisiken aus.

Wenn ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein mit Ängsten korreliert, z.B. Fehler zu machen, wie Anweisungen zu unterlassen oder Zeit zu vergeuden, können Verunsicherung und innere Abwehr entstehen, eine Situation über längere Zeit, die zum Burnout führen kann, gerade dann, wenn Widersprüche in Bezug auf Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr aushaltbar sind. Schulleitungen wissen, dass die Umsetzung dringender Beschlüsse eines nicht unerheblichen zeitlichen Vorlaufes bedarf, der in der Regel aus schriftlicher und mündlicher Kommunikation besteht. Sie befürchten, dass wenn sie halbherzig handeln, möglicherweise viele andere betroffene Personen, meist Eltern und Schüler:innen, dies ausbaden müssten. Ein Beispiel aus der Praxis könnte sein: Die Schulleitungen erfahren Samstagabend, dass am kommenden Montag keine Schule sei. Eine aufregende Ereigniskette beginnt: Info an Lehrkräfte und Mitarbeiter:innen, Info an Eltern und Schüler:innen, Infos für die Homepage, Organisation der Notbetreuung, erste Rückfragen von allen Seiten per Mail, oftmals verbunden mit der Hoffnung auf schnelle Rückmeldungen. Hausmeisterinfo, Presseanfrage usw. Die Installation dieser Ereigniskette kann nicht bis Sonntagabend oder gar Montagfrüh warten – und falls doch, dann würden die berufstätigen Eltern dies ausbaden müssen.
Um genau in diesen Situationen verantwortlich und schnell zu handeln, schieben Schulleitungen das Lesen ihrer Mails nicht auf. Sie erwarten aber ebenso vom Sender ein fürsorgliches Abwägen, ob eine Anweisung zum Wochenende wirklich unausweichlich ist.
So muss in der Regel klar definiert werden, dass Erlasse und Verordnungen die Schulleitungen von Montag bis Freitag, jeweils von 8 bis 16 Uhr erreichen und Ruhezeiten in den Ferien eingehalten werden. Nur in Ausnahmefällen sind die Schulleitungen zu benachrichtigen.
Das wäre wertschätzender Umgang und Empathie gegenüber uns Schulleitungen. In den Ministerbriefen heißt es zwar immer wieder, wie sehr unsere Arbeit geschätzt würde und wie sehr man wisse, wie belastet wir seien. Aber warum führt dies nicht dazu, den Schulleitungen genau das zuzugestehen, was sie dringend brauchen? Erholungsphasen!

Daher fordern wir: Klare Richtlinien und Regeln zum Umgang miteinander. Dass dies nicht erst eine Forderung des SLVN in Pandemie-Zeiten ist, sollte bekannt sein. Sie gehört zu den dicken Brettern, die der SLVN schon seit Jahren bohrt; ebenso wie eine gerechtere Besoldung, eine fehlende Personalvertretung, eine angemessene Qualifizierung von Schulleitungen sowie ein entsprechendes Berufsbild.

Die Pandemie hat diesen Malus also nicht ausgelöst, sie hat ihn verschärft. Und man darf nicht vergessen, dass all die Aufgaben und Probleme, denen sich Schulleitungen im regulären Alltag ohne Pandemie zu stellen haben, nicht weniger geworden sind. Schulleitungen machen also derzeit nicht nur ihren regulären Job, sie betreiben zusätzlich ein permanentes Krisenmanagement.

Die Schulleitungen des Landes Niedersachsen stellen sich dieser durch Covid-19 ausgelösten Katastrophe in ihrem „Beritt“, dem Schulbetrieb, verantwortlich und so gut sie können. Die meisten von ihnen mit ganzer Kraft und weit über das Normalmaß hinaus. Viele können jetzt nach über einem Jahr nicht mehr. Ihnen geht sprichwörtlich die Puste aus – und dies nicht, weil sie den Krisenzeiten nicht gewachsen sind – sondern weil diese außerordentliche Belastungssituation sowohl vom Ministerium als auch Landesamt und leider auch von der Öffentlichkeit übersehen wird und somit auf viele Situationen nicht angemessen und sensibel reagiert wird.

„Dann hab` ich es weg“, so die Antwort auf unsere Nachfrage. Ja, und die Schulleitungen haben’s auf dem Tisch. Die einen machen Feierabend – die anderen Nachtschicht.
Das geht nicht mehr lange gut!

Andrea Kunkel | Katharina Badenhop | Stephan Lindhorst | Dr. René Mounajed