Öffentliche Stellungnahme des SLVN Niedersachsen e.V. und der Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft

Make or buy?

Warum Nichtschülerprüfungen nicht an Schulen gehören

Dass Menschen mit Migrationsgeschichte und andere Nichtschülerinnen und Nichtschüler an
der Volkshochschule Kurse zum Erwerb von Schulabschlüssen belegen und dort auch ihre
Abschlussprüfungen machen, ist seit vielen Jahren bewährte Praxis. In Hannover ist nun
Chaos ausgebrochen, das am Ende auf dem Rücken von Schulleiter:innen und Lehrkräften
von IGS, OBS und RS ausgetragen wird:

Die VHS Hannover hat sich aus Gründen von der Aufgabe der Durchführung von Abschlussprüfungen zurückgezogen. Daher hat das Land das Verfahren kurzerhand einer Reihe von
IGS, OBS und RS aus Hannover übertragen, statt den Volkshochschulen die Durchführung fair
zu vergüten. Das ist keine gute Idee.

Weil das den Menschen nicht gerecht wird

Die Durchführung von Schulabschlusskursen durch Volkshochschulen ist immer auch Integrationsarbeit gewesen – zu der die Abnahme der Prüfungen gehört hat. Bei den eigenen Lehrerinnen und Lehrern eine Abschlussarbeit zu schreiben oder mündlich geprüft zu werden, hat Sicherheit vermittelt, ermutigt und zum Gelingen beigetragen. Nun bekamen die Nichtschüler:innen aus Hannover ein Schreiben des RLSB mit dem Rechtsbezug zur NAVO-SI, in dem
der Prüfungszeitpunkt an einer ihnen unbekannten Schule mitgeteilt wird: „Von Anfragen zu
Prüfungsinhalten an und in der Ihnen zugewiesenen Schule ist Abstand zu nehmen.“ Das ist
kein guter Stil – und lässt die Adressat:innen hilflos zurück.

Weil die Organisation komplex ist

Ein Organisationschaos folgte – denn das Verfahren wird erfunden, während es schon läuft.
Erst verfügt das MK, dass Nichtschüler:innen-Prüfungen nur an Schulen stattfinden sollen, an
denen der entsprechende Abschluss ohnehin vergeben wird. Dann bemerkt man, dass die
HS9-Prüfungen nicht identisch sind mit den Prüfungen zum Sekundarabschluss I Hauptschulabschluss. Erst schrittweise fallen die Unterschiede zwischen AVO-SEK I und NAVO-SI auf:
Schulfachlich fundierte Steuerung ist etwas anderes.
Richtig ist: Die praxiserfahrenenen Prüfungsvorsitzenden – beauftragte niedersächsische
Schulleitungen – unterstützen die 18 betroffenen Schulen mit Geduld, Expertise und Erfahrung nach Kräften. Auch sie können aber nicht verhindern, dass ein „Aufgabenpool“ ohne
jede Qualitätsprüfung an die Schulen verschickt wird. Wir verzichten darauf, die fachlichen,
rechtlichen und didaktischen Mängel im Einzelnen aufzulisten. Aber man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Welche Qualitätsansprüche stellen MK und RLSB bei dezentralen Abschlussaufgaben an die Schulen?

Weil die Schulen andere Aufgaben haben

Die neue Aufgabe trifft Schulen in einer Phase des Schuljahres, die auch bisher eine Belastungsspitze darstellte: Zwischen den Oster- und den Sommerferien liegen nicht nur die letzten Klassenarbeiten und Klausuren, Zeugniskonferenzen und Abschlussfeiern, sondern auch die Abschlussprüfungen für alle Mittleren Schulabschlüsse und an den Integrierten Gesamtschulen das Abitur. Nicht nur die Schulleitungen übernehmen damit faktisch parallel u.U.
den dritten Prüfungsvorsitz, auch die Kolleginnen und Kollegen sind derart in die Prüfungsabläufe im eigenen Haus eingebunden, dass für Fachprüfungsausschüsse für Nichtschüler:innen in 3-4 schriftlichen Fächern und 3-6 mündlichen Fächern einfach keine Menschen zur Verfügung stehen.

Unsere Forderungen an die Landesregierung

Die gemeinsamen Verhandlungen von SLVN und die GEW ergaben eine zugesprochene Entlastung der betroffenen Schulen von 0,5 Stunden. Dies wird dem tatsächlichen Aufwand der
betroffenen Kolleg:innen und Schulleitungen in keiner Weise gerecht. Daher fordern beide
Verbände für den aktuellen Prüfungsdurchgang eine Ressourcenzuweisung an die betroffenen Schulen in Höhe von 1 Jahresstunde pro Prüfling als Anrechnung. Das passt vom Aufwand – und auch vom finanziellen Rahmen.

Künftig muss die Aufgabe unserer Einschätzung nach wieder den Volkshochschulen übertragen werden und diese sind dafür angemessen zu vergüten. Die VHS sind gesprächsbereit. Sie
verfügen über die personellen Möglichkeiten, die organisatorischen Erfahrungen und die
Nähe zu den Menschen, um die es geht.

Dr. René Mounajed, Vorsitzender des SLVN | Matthias Aschern, Vorstand SLVN
Stefan Störmer, Vorsitzender der GEW Niedersachsen